Die Auferweckung Jesu ist keine explizit messianische Kategorie (auch wenn sie von vielen frühchristlichen Briefschreibern öfter im Alten Testament „gefunden“ wird!), sie ist vielmehr das
eigentlich Neue an der Sendung Jesu. Sie ist das „einzige Zeichen“, das er geben wird, um dieses Neue auch zu verstehen. Der Opfertod Jesu ist der letzte Höhepunkt alttestamentlich-jüdischer
Gottesbeziehung, doch er wird übertroffen von dem universalen Rettungsangebot durch die Auferstehung Jesu. Die messianische Würde Jesu ist keine Erfindung der Gemeinde, sie begleitet sein Leben, ohne
sie ist er völlig unverständlich. Deshalb folgen ihm ja nicht nur seine Jünger nach, sondern viele Menschen, die den sehnlichst erwarteten Messias in ihm sehen. Die Frage, was den Messias auszeichnet
und wie er zu erkennen ist, war damals noch offen und wurde heiß diskutiert. Aber nach der Kenntnis der Evangelientexte zu behaupten, die Menschen, die Jesus folgten oder auch nur zu ihm strömten,
hätten ihn für einen x-beliebigen Propheten gehalten, scheint mir wirklich naiv. Er wurde ja auch gerade deshalb gekreuzigt, weil er als Messiaskönig für das jüdische Establisment gefährlich
war.
„Unsere Frage heißt daher: Lassen die Texte des Neuen Testaments etwas von der zentralen Wende im Glauben der Jünger durchscheinen? Hat sich irgendwo die Erinnerung daran erhalten, daß man eben erst
nach Ostern und aufgrund von Ostern zu der entscheidenden Einsicht gelangt ist?
Antwort: Nein. Es gibt keinen einzigen neutestamentlichen Text aus dem hervorgeht, daß die entscheidende christologische Erkenntnis den Jüngern erst nach Ostern zuteil geworden wäre. Die
Grundprämisse liberaler Exegese in der Frage der Christologie hält daher dem Textbefund des Neuen Testaments nicht stand. Sie ist anders, und zwar philosophisch entstanden und zu denken. Es ist
höchste Zeit, sie kritisch zu diskutieren.“ (Berger, Johannes, S.49)
Das volle Verständnis der Sendung Jesu konnte erst nach Ostern gefunden werden, weil die Aufweckung des Gekreuzigten vollendet sein musste, um Jesus als Gottesknecht, als Gottessohn, als Logos und
Weisheit Gottes zu bestätigen und damit die Sendung in die Welt kraft des Heiligen Geistes zu ermöglichen, aber es gibt keinen Graben zwischen Tod und Auferstehung, weil ohne die Vollendung und
Erhöhung Jesu das Evangelium nicht zu haben ist.
„Die ‘Fleischwerdung des Gottessohnes’ und die Geschichte vom Wirken und Leiden Jesu, die dann in literarischer Form als Evangelium erzählt und zugleich verkündigt wird, lassen sich nicht
auseinanderreißen. Die Existenz der Evangelien und der Apostelgeschichte beweist, daß die urchristliche Predigt ganz wesentlich von der Erzählung der erinnerten und tradierten Worte und Taten Jesu
bestimmt war, die in der Passionsgeschichte ihre Klimax erreicht.
Auf jeden Fall sind die Teile, die ‘Geschichte“ erzählen in der Form mehr oder weniger zusammenhängender ‘Geschichten’ oder Summarien - hauptsächlich über Jesus -, inklusive der dazwischen
eingefügten ‘Herrenworte’ und ‘Reden’, im Neuen Testament vorherrschend.“ (HENGEL, Evangelium, S.14)
Die Zeichen, die Jesus wirkt und das Zeichen, das Gott mit der Auferweckung setzt, sie bringen erst die ganze Wahrheit ans Licht. Nur durch diese universale Öffnung für die Menschenwelt werden die
messianischen Verheißungen wirklich erfüllt. Sie setzen den Neuen Bund. Das Erdenwirken Jesu und sein Geschick in Passion und Auferweckung sind erst zusammen das „Evangelium“, das mit der
Pfingstpredigt des Petrus seinen Weg durch die Welt nimmt.
Wenn in den neutestamentlichen Briefen vom Evangelium gesprochen wird, dann ist immer die ganze Geschichte gemeint und erzählt worden. Die Sendung Jesu ist in der Missionspredigt bei Paulus und
Petrus eingebunden in die Heilsgeschichte Gottes, die im Kommen des „Gesalbten“, seiner Freudenbotschaft, seines Opfertodes und seiner Auferstehung erzählt werden muss. Im frühen Christentum gab es
nur die eine Heilsbotschaft, ob nun in mündlicher (Predigt) oder schriftlicher (Lesung, Unterricht) Gestalt. Diese Botschaft war identisch mit dem „einen Evangelium Jesu Christi, des Sohnes Gottes“,
wie es Markus formuliert (Markus 1,1). „Offenbar sah Markus zwischen der verkündigten Heilsbotschaft, der erzählten Geschichte und dem Buch für die gottesdienstliche Lesung keinen Gegensatz.“
(HENGEL, Evangelium, S.2)
Diese eine Heilsbotschaft begegnet uns in den Summarien des Lukas in der Apostelgeschichte und in den Missionspredigten von Petrus, Paulus und Stephanus. Sie verweisen auf eine frühe Praxis der
Verkündigung des Evangeliums. Diese Predigten waren ja keine Prophetien, sondern Berichte des Wirkens und des Geschicks Jesu auf dem Hintergrund eines prophetisch interpretierten Alten Testaments.
Sie waren missionarische Verkündigung eines Geschehens, das mit Tod und Auferweckung Jesu seinen Höhepunkt gefunden hatte. Diese Botschaft wird aufgezeichnet und von den frühchristlichen Missionaren
verkündet. Sie sind die „Ausrufer“ einer „guten Nachricht“, die alle Menschen betrifft. Sie führen das Evangelium im Gepäck, weil es nach jüdischer Tradition keine Lehre ohne schriftliche Grundlage
geben kann.
Im Kerygma Petri, einer Schrift, die uns nur durch die Zitate bei Clemens von Alexandrien bekannt ist, finden wir diese Form alttestamentlicher Interpretation bildhaft dargelegt (schwer datierbar):
„Wir rollten die Bücher der Propheten auf, die wir da hatten. Sie nennen Jesus Christus teils mit verschlüsselten Worten, teils in Rätseln, teils zuverlässig und mit klaren Worten. So fanden wir
darin seine Ankunft, seinen Tod und sein Kreuz beschrieben und auch all die übrigen Martern, die die Juden ihm angetan haben. Wir fanden auch, daß seine Auferweckung und seine Aufnahme in den Himmel
beschrieben waren...“
(Kerygma Petri, Fragment 11, zitiert nach Berger, Das Neue Testament, S.974)
Paulus verkündigt sein ‘Evangelium’ in seinen Briefen nicht erzählend, sondern lehrhaft, weil er dort Christen in den Gemeinden anspricht. Er beruft sich dabei auf seine besondere Offenbarung vor
Damaskus. Aber wir haben auch durch die Apostelgeschichte interessante Überlieferungen, wie seine missionarische Erstverkündigung bei Juden und Heiden aussah: Sie knüpfte ein Band zur Lebenswelt der
Angesprochenen, besonders deutlich in seiner Agorarede in Athen. Für Paulus gibt es trotzdem in Lehre und Predigt nur diese eine Heilsbotschaft (Galater 1,11f).
Nach der Erstverkündigung kam in einer seit Jahrhunderten praktizierten Schreibkultur aber immer die Nachfrage: Gibt es das auch schriftlich? Jeder, der selbst lesen und schreiben kann, möchte sich
nicht nur auf das Hörensagen verlassen, er möchte schwarz auf weiß besitzen, was seine Überzeugung geworden ist.
Da wir in Städten und dazu unter der jüdischen Bevölkerung mit einem hohen Verbreitungsgrad der Lese- und Schreibkenntnis rechnen müssen, war es für die Urgemeinde notwendig, schon im ersten
Jahrzehnt nach dem Tode und der Auferstehung Jesu schriftliche Berichte über sein Geschick weiterzugeben. Ich glaube daher, dass die jesuanischen Überlieferungen besonders von den sogenannten
„Hellenisten“ (den griechischsprachigen Jesusnachfolgern) in Jerusalem sehr früh kopiert und verteilt wurden. Das Evangelium im weiteren Sinn war alles, was mit Jesus, dem Messias, zusammenhing, was
er sagte, was er tat, wie es ihm erging, damit sich Gottes Erlösungshandeln vollziehen konnte. Besonders die Worte und Weisungen Jesu für den Alltag waren beliebte Texte, da sich die junge
Christenheit orientieren wollte, wie das neue Leben im Geist Christi aussehen sollte.
Die Heilsbotschaft musste von den Augenzeugen verlässlich weitergegeben werden. Das war nur schriftlich möglich, zumal es in Begründung und Abgrenzung zum traditionellen Judentum geschah. Es stand
hier die Hoheit über die Auslegung der „Schrift“ zur Debatte! Die urchristlichen Gemeinden beanspruchten nämlich, dass Jesus als Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen zu verstehen sei. So
hatte auch Jesus seine Sendung interpretiert, er wollte nicht „auflösen“, sondern „erfüllen“. Das aber bestritt natürlich das traditionelle Judentum sehr heftig, bis hin zu den Morden an vielen
urchristlichen Leitern. Die gewalttätigen Zustände spitzten sich dann im jüdischen Bürgerkrieg der sechziger Jahre zu.
Jesus selbst hat mit einer Erneuerung der Schriftauslegung begonnen. Er hat die prophetischen Verheißungen auf sich selbst hin ausgelegt und seine neuen Weisungen durchaus auch im Gegensatz zur
traditionellen Toraauslegung formuliert. Die Schulung der Jünger in dieses „neue Denken und Handeln“, in dieses eschatologische Heilshandeln Gottes, bedeutet auch eine Denkleistung auf Seiten der
Jünger, eine Auseinandersetzung mit theologischen Positionen. Dazu machen sich Leute mit Schreibkenntnissen Notizen. Nicht nur das, sie schreiben sich die wichtigsten Sätze auf! Es ist ganz einfach,
denn sie können in jedem Übernachtungsquartier Schreibtäfelchen und Tinte bekommen, wenn sie sie nicht sogar dabei haben.
Verstehen Sie jetzt, das es keine Alternative zur Annahme der Verschriftlichung des Evangeliums in der Jesuszeit geben kann? Die Funde des Babatha-Archivs zeigen uns, dass das ganze Leben in der
damaligen Kultur schriftlich geregelt war. Die Jesusgruppe mit ihren reichen Unterstützerinnen aus dem Landadel davon auszunehmen, wäre historisch leichtfertig. Es ist auch keine Sache ausufernder
Fantasie, man muss nur die dargestellten Fakten zu den Funden der Zeit und den Texten in Beziehung setzen. Das ist alles.
Im nächsten Kapitel möchte ich mich mit Datierungsfragen auseinandersetzen, weil sie erheblich zur Verunsicherung der Überlieferung der Jesuszeit beigetragen haben.
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